Bettina Lendi in Kirgistan
Erlebnis Reisebericht Trekking

Kirgistan – Trekken in den Fergana-Bergen

«Von Vogelgezwitscher geweckt blicke ich schlaftrunken zur Decke. Was ist das für ein Ornament? Aha, wir sind in Kirgistan, genauer in Kilmchesay, und haben in der alten Jurte von Myrzas Grosseltern übernachtet. Das vermeintliche Ornament ist die Öffnung im Jurtendach, die den Raum mit Tageslicht erfüllt», so Bettina Lendi, Nature Tours-Mitarbeiterin. Lesen Sie ihr Erlebnisbericht über das sechstägige Trekking in den Fergana-Bergen in Kirgistan.

Myrza ist unser Guide und er will im Ort, in dem er aufgewachsen ist, ein kleines touristisches Unternehmen mit ein paar Jurten aufbauen. Die erste steht schon und wir sind die ersten Gäste, die die frisch betonierte Dusche und die Toilette benutzen dürfen. Die Wasserversorgung ist noch nicht ganz durchdacht und unsere Tipps sind willkommen.

Über grüne Hügel und Weiden

Nun geht’s los. Wir wollen quer durch die Fergana-Berge trekken. Unser Gepäck, die Zelte und das Essen für die nächsten sechs Tage, werden auf drei Packpferde verladen. Hössön, unser Pferdetreiber, ist zum ersten Mal mit Touristen unterwegs. Er scheint ganz aufgeregt. Zudem begleitet uns ein Ranger des Naturreservats und Shukran, unser Koch.

Die erste Etappe führt uns durch ein liebliches Tal mit sattgrünen Weiden. Von überall her winken uns nomadische Hirten zu und bitten uns zum Tee. Doch wir müssen weiter. Am Ende des Tals müssen wir den Pass überqueren.

Von oben blicken wir auf die Ebene im Norden und die teils schneebedeckten Gipfel im Süden. Vor allem aber beeindruckt tief unter uns der türkisblaue «Kara Suu-See», zu dem wir steil absteigen, um an seinem Ufer zu übernachten. Heute dauert alles ein wenig länger. Die Handgriffe beim Aufbau des Ess- und des Kochzeltes und das Aufstellen des Toilettenzeltes sind noch nicht ganz eingeübt. Trotzdem ist unsere Stimmung ausgezeichnet und wir freuen uns auf ein feines und reichhaltiges Abendessen.


Ein Auf und Ab mit Seeblick

Die Farbe des etwa acht Kilometer langen «Kara Suu-Sees» wirkt wie aus einer anderen Welt. Der See ist eingebettet in ein steiles Tal, umgeben von einer Bergblumenpracht und den Berggipfeln. Unser schmale Weg führt der Südflanke des Tals entlang mit stetem Blick auf die herrliche Landschaft. Unsere Kameras kommen kaum zur Ruhe.

Was auf der Karte wie ein schöner Höhenweg aussieht, entpuppt sich als ein stetes Auf und Ab. Jeder noch so kleine Zufluss des Sees hat einen tiefen Graben hinterlassen, den wir überwinden müssen. Zum Schluss folgt ein längerer Aufstieg zur nächsten Talstufe. Der «Kapka Tash», der Schwarze See, erwartet uns. 

Plötzlich türmen sich Wolken auf. Gerade noch rechtzeitig vor dem Gewitter stehen unsere Zelte. Später trommelt uns der Regen, nach einem langen, fantastischen Tag, in den Schlaf.


Alpines Intermezzo

Myrza weckt uns früh und bringt uns eine dampfende Tasse Kaffee zum Zelt. Nach einem stärkenden Frühstück wandern wir bei leichtem Nieselregen dem höchsten Pass entgegen. Die Pfade sind schlammig. Zum Glück sind wir von Kopf bis Fuss in dichte Outdoorkleider gehüllt. 

Zwar hört es nach ein paar Stunden strengem Anstieg auf zu regnen. Dafür zieht nun Nebel auf und ein kühler Wind lässt uns erahnen, dass wir uns der Passhöhe auf 3200 Metern nähern. Noch ein letztes Schneefeld queren und dann sind wir oben. Die Aussicht müsste fantastisch sein, doch wir sehen kaum die Hand vor den Augen. 

Hinunter geht es «gratis», denn die alten Lawinenkegel laden zu einer rasanten Rutschpartie ins Tal ein. Was für ein Spass! Sogar unsere schwer beladenen Packtiere haben es hier leicht. Der Schnee ist hart genug, so dass sie nicht einsinken.

 

Ein Bach, aber keine Brücke

Im Talboden stehen wir plötzlich vor einem reissenden Bergbach und natürlich ist weit und breit keine Brücke in Sicht. Gerade als wir die Schuhe ausziehen wollen, taucht wie durch ein Wunder ein Nomade auf, der nach seinen Tieren schaut. Ohne grosse Worte lädt er mich vor sich aufs Pferd und bringt mich ans andere Ufer. Der Bach ist tiefer als gedacht, denn das Pferd steht bis zum Bauch im brodelnden Wasser.

Mit strahlendem Grinsen bringt er uns alle rüber. Nun müssen wir unbedingt seine Frau und seine Kinder kennenlernen. Die Familie verbringt weiter unten im Tal, in der Nähe unseres Zeltplatzes, den Sommer als Hirten.

Herzlich werden wir empfangen und ins mit farbigen Teppichen ausgelegte Familienzelt gebracht. Die drei Kinder staunen uns an, wie wir höflich am angebotenen Kymys, der vergorenen Stutenmilch, nippen und versuchen, das Gesicht nicht zu verziehen ...

 

Im roten Tal der Bienenzüchter

«Otuz Art» heisst die Gegend, in der wir uns heute bewegen. Der Name bedeutet soviel wie das «Tal der dreissig Pässe». Und tatsächlich gibt es beim talauswärts wandern unzählige Anhöhen, Senken, Gräber und Hügel zu überwinden. Die Strapazen sind jedoch schnell vergessen, denn heute scheint die Sonne wieder. Sie lässt die blühenden Wiesen, die lichten Laub- und Nadelwälder und vor allem die roten lehmigen Hänge und Felswände in strahlenden Farben leuchten.

Viele Bienenzüchter haben sich hier angesiedelt. Deren Bienenhäuschen, die am Wegrand stehen, geben der Landschaft einen besonderen Reiz. Der Honig ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Nach einem letzten steilen Abstieg weitet sich das Tal und wir stellen ein weiteres Mal unsere Zelte am Fluss auf. Diesmal übernachten wir in einer Arena zwischen rot leuchtenden Felswänden.  

 

Durch den Wallnusswald

In den frühen Morgenstunden verlassen wir unser Camp am Fluss. Aber nicht ohne noch unzählige Bilder von der tollen Gegend und den roten Felswänden im Morgenlicht gemacht zu haben. Bald gelangen wir nach «Kyzyl Unkur», wo wir kurz der Asphaltstrasse folgen müssen. Viel Verkehr hat es hier zum Glück nicht. Danach tauchen wir in eine neue, üppige Welt ein: in den grössten, natürlich wachsenden Wallnusswald der Erde. Die Bewohner*innen der Gegend um «Arslanbob» leben seit Jahrtausenden vom Export der Nüsse und des Wildobstes und wissen diese natürlichen Ressourcen seit je zu schätzen.

 

Wie in den Tropen

Für uns fühlt sich die Wanderung durchs leuchtend grüne Unterholz an, als wären wir in den Tropen gelandet. Unser Lager liegt an einem Flüsschen, in dem wir und das ganze Begleitteam am Abend reihum die Erfrischung suchen. Währenddessen zaubert unser Koch Shukran ein feines Abschlussessen auf den Tisch; genauer, auf das am Boden ausgelegte farbenfrohe Tischtuch. Heute bleiben die Campingstühle und -tische unbenutzt. Wir essen nach traditioneller Art am Boden sitzend. Hössön und der Ranger fühlen sich offensichtlich deutlich wohler, als an den steifen Tischen ;-) 

 

Zurück in der Zivilisation

Die feuchte Hitze treibt uns früh aus dem Zelt an den gedeckten Frühstückstisch. Der unvermeidliche Schwarztee und der inzwischen liebgewonnene russische Instantkaffee wecken unsere Geister. Noch etwa zwei Stunden haben wir zu wandern. Im hohen Gras der dschungelartigen Gegend geht es durch schier endlose Wallnuss- und Wildobstwälder. Dann hat sie uns (leider) wieder, die Zivilisation. An der Strasse wartet unser Fahrer Kolwan mit einem breiten Lachen. Wir steigen dankbar ein und lassen uns die letzten Meter zum tollen Familiengästehaus chauffieren.

Am Nachmittag besuchen wir den Wasserfall von «Arslanbob», der vor allem bei Einheimischen und usbekischen Touristinnen beliebt ist. Der Wasserfall verspricht Liebesglück und Fruchtbarkeit. Nach den einsamen Trekkingtagen beobachten wir mit Erstaunen und einem Schmunzeln die Menschenmassen, die sich Richtung Rinnsal bewegen. Und die Marktleute, die alles Mögliche und Unmögliche für die «Pilger*innen» feilbieten. Aber auch dieses, salopp gesagt, Szenario gehört zu den Facetten Kirgistans. 

 

Ein unvergessliches Erlebnis

Später besuchen wir den «Song Kul», den grossartigen Bergsee. Er ist das Sommerparadies der Nomaden. Weiter gehen wir zum «Issyk Kul», das Kirgisische Meer. Wie ein Kaleidoskop haben sich unsere zwei Wochen am Schluss zu einem schillernden Ganzen zusammengefügt. Es bleibt unvergessen.